18. Mai: Nikotinpflaster gegen Corona? Eine Einordnung

Verwirrung gab es in jüngster Zeit um Berichte, dass Nikotin unter Umständen bei der Abwehr des neuartigen Coronavirus helfen könnte. Verständlich, dass so eine Nachricht „einschlägt“ und von vielen Menschen gelesen und diskutiert wird. Wir fassen den aktuellen Stand für Sie zusammen. Vorab jedoch:

Nikotinpflaster sollten bestimmungsgemäß – und ausschließlich im Rahmen einer Tabakentwöhnung – eingesetzt werden und nicht darüber hinaus! Alle Informationen dazu finden Sie in der Packungsbeilage des Nikotinersatzpräparats.Es gibt es keinen gesundheitlichen Grund, mit dem Rauchen anzufangen! Ganz im Gegenteil: Eine Vielzahl von Studien belegt eindeutig, dass Tabakkonsum nach wie vor zu den größten Gesundheitsrisiken unserer Zeit gehört.

Nikotin als Schutz vor COVID-19? Eine bislang ungeprüfte Annahme

Nikotin als möglicher Schutz vor der bedrohlichen COVID-19-Erkrankung? Eine Substanz, die nachweislich Abhängigkeit erzeugt? Viele waren verwundert zu lesen, dass französische Forscher Nikotinpflaster im Kampf gegen das Coronavirus testen wollen. Bei „Nikotin“ denken die meisten Menschen automatisch ans Rauchen und das ist schließlich erwiesenermaßen und ganz eindeutig: gesundheitsschädlich.  

Woher kommt die Nachricht also und was bedeutet sie?

  • Darum geht es: Ein französisches Forscherteam machte die Beobachtung, dass in einigen Untersuchungsstichproben von schwer an COVID-19 erkrankten Patientinnen und Patienten vergleichsweise wenige Raucherinnen und Raucher zu finden waren – „wenig“ im Vergleich zum Anteil der Raucherinnen und Raucher in der Bevölkerung. Sie befragten daraufhin etwa 500 an COVID-19 erkrankte Patienten und Patientinnen aus einem französischen Krankenhaus. Das Ergebnis: Nur ein geringer Teil von ihnen gab an, dass sie „täglich rauchten“, nämlich zwischen 4,4 Prozent und 5,3 Prozent. Dieser Prozentsatz ist im Vergleich zur Rauchquote in der Gesamtbevölkerung deutlich niedriger, auch wenn man das Alter und Geschlecht der Untersuchten berücksichtigt. Die Forscher formulierten daraufhin die folgende Hypothese: Könnte es eventuell sein, dass Nikotin vor einer Ansteckung oder einem besonders schweren Verlauf schützt? Um ihre Hypothese zu prüfen, haben sie nun beantragt, Nikotinpflaster an Patienten sowie medizinischen Fachkräften zu testen.
     
  • Zum Hintergrund: Forscherinnen und Forscher auf der ganzen Welt arbeiten mit Hochdruck an Möglichkeiten, neue Ansteckungen mit dem Coronavirus zu verhindern und die Erkrankung COVID-19 zu behandeln. Viele mögliche Zusammenhänge werden momentan geprüft. Weil der „Erkenntnis-Druck“ so groß ist, werden erste Hinweise und Vermutungen auch schnell von den Medien aufgegriffen (siehe auch unser Blog-Beitrag Wissenschaft in Echtzeit). Dabei handelt es sich bei dem Vorhaben der französischen Wissenschaftler, Nikotinpflaster an Patienten und Pflegenden zu testen, um ein zunächst angekündigtes und noch nicht durchgeführtes Vorhaben. Der dazugehörige Artikel ist bisher auf einer Onlineplattform und noch nicht in einer anerkannten Fachzeitschrift erschienen. Er wurde auch noch nicht von anderen Wissenschaftlern begutachtet. In einem Artikel sprechen die französischen Forscher und Forscherinnen selber von einer „vorsichtigen“ Hypothese.
     
  • Eine mögliche Erklärung für die Beobachtung: Nikotin könnte bestimmte Rezeptoren an Körperzellen blockieren, über die das Coronavirus in die Zellen eindringt. Dadurch könnte eine Ansteckung mit dem Coronavirus verringert oder verhindert werden, so eine mögliche Erklärung, auf die die französischen Forscher kamen. Außerdem überlegen sie, ob Nikotin dazu beitragen könnte, eine überschießende (schädliche) Immunreaktion zu dämpfen, zu der es bei einem schweren Verlauf der Erkrankung kommen kann. „Könnte“, „Möglicherweise“, „Annahme“: Schon an unseren Formulierungen wird deutlich, dass es aktuell noch um eher vorläufige und vage Vermutungen geht.
     
  • Andere mögliche Erklärungen: Es könnte auch andere Erklärungen dafür geben, dass in den Patientenstichproben weniger „tägliche Raucher“ zu finden waren als in der Bevölkerung. So könnte es beispielsweise sein, dass unter den aktuellen Bedingungen (insbesondere in Notfallsituationen) nicht von allen Patientinnen und Patienten erhoben wurde, ob und wie häufig sie rauchen. Eventuell haben einige von ihnen auch, angesichts ihrer Krankheitssymptome, in der Zeit vor der Behandlung im Krankenhaus, nicht mehr geraucht und deshalb nicht angegeben, täglich zu rauchen.
     
  • Fazit: Während es bei den Überlegungen der französischen Forscher um mögliche Verbindungen zwischen der Substanz Nikotin und bestimmten Vorgängen in Zellen geht, ist das Gesundheitsrisiko Tabakkonsum durch viele Studien eindeutig belegt. Rauchen ist eine ernsthafte Gefahr für die Gesundheit. Nikotin ist zudem verantwortlich für Tabakabhängigkeit. Darauf weisen auch die französischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ihrem Artikel hin. Tabakrauch enthält um die 5.000 Substanzen, viele davon sind giftig und einige krebserregend. Pro Jahr sterben in Deutschland ca. 121.000 Menschen vorzeitig an den Folgen des Rauchens.

 

Zu den Krankheitsfolgen des Rauchens zählen insbesondere Vorerkrankungen, die einen schweren Verlauf der COVID-19-Erkrankung begünstigen, wie etwa COPD und koronare Herzerkrankungen. Aus einigen Studien gibt es Hinweise, dass COVID-19 bei Raucherinnen und Raucher schwerer verläuft, aktuell ist die wissenschaftliche Datenlage dazu jedoch noch schwach. Zudem kommen beim Rauchen die Finger häufiger mit dem Gesicht in Kontakt. Dadurch nimmt die Wahrscheinlichkeit einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus zu.

  • Nikotinpflaster sind für die Tabakentwöhnung zugelassen worden und sollten immer bestimmungsgemäß verwendet werden. Sprechen Sie dazu auch Ihre Apothekerin/Ihren Apotheker an.

Wenn es interessante Neuigkeiten zu dem Thema gibt, informieren wir Sie in unserem Blog darüber.

Quelle: A nicotinic hypothesis for Covid-19 with preventive and therapeutic implications. (2020, April 22). Abgerufen 4. Mai 2020, von www.qeios.com/read/FXGQSB.2