Die Sucht macht durchaus Sinn, oder ?

Verfasst am: 15.09.2015, 17:59
WolfMS71
WolfMS71
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Liebe Freunde des Nichtrauchens,

ich versuche mal meine derzeitige Situation Revue passieren zu lassen und füge mal einen etwas längeren Beitrag, den ich so zum grössten Teil im Internet gefunden habe, in das Forum unter einem neuen Thread ein. Allerdings ist das weder ein Artikel noch eine „wissenschaftlicher“ Beitrag.

Also erst mal ein bisschen Statistik: ungefähr 28 % der über 15. jährigen Bevölkerung in Deutschland rauchen. Von diesen 28% sind 3% Gelegenheitsraucher. Also sind 72% Nichtraucher! Damit gehören wir wieder zur Mehrheit wenn wir es lassen. Als Raucher kam es mir oft so vor als ob alle rauchen, nur ich sollte es nicht mehr wollen dürfen *ggg*. Zwischen 20 und 44 Jahren bleibt der Anteil der Raucher ungefähr gleich, danach sinkt er. Mit jeden weiteren Jahr steigt der Anteil der Nichtraucher weiter. Viele hören auf, andere fallen wohl ihrem Laster zum Opfer. Ich finde die Zahl nicht mehr aber soweit ich es im Kopf habe raucht der durchschnittlicher Raucher wenn er erst einmal süchtig geworden ist ungefähr 25 Jahre lang. Damit habe ich meiner „Raucherpflicht“ also genüge getan (28 bzw. 29 Jahre) und kann es jetzt sein lassen.

Nun eine kleine Abhandlung darüber wie Nikotin auf das Gehirn wirkt. Ich erhebe ausdrücklich keinen wissenschaftlichen Anspruch. Das ist sicher alles nur so über den Daumen gepeilt. Aber für meine Ansprüche reicht es. Nikotin wirkt auf das Gehirn, das ist keine Neuigkeit. Nikotin wirkt sich direkt auf das Dopamin- System aus. Im Grunde heißt das, das man durch das Nikotin ein System direkt und gezielt steuern kann, das sich normalerweise dem direkten Einfluss des Menschen entzieht. Interessant, oder? Da beeinflussen und steuern wir unser Gehirn und haben nicht mal eine Ahnung davon das wir das tun. Trotzdem lernt ein Raucher ganz schnell damit umzugehen. Das Gehirn ist mit D 2- Rezeptoren ausgestattet. Andockstellen für das Dopamin. Nikotinzufuhr sorgt für Dopamin- Ausschüttung. Interessant hierbei ist es, das Menschen, die zur Sucht neigen von Natur aus weniger D 2- Rezeptoren aufweisen, was die Sucht begünstigt und das die Sucht die ohnehin geringere Zahl der Rezeptoren weiter verringert! Ein Teufelskreis! Aber um das zu wissen brauchen wir ja keine Gehirnforschung das wussten wir ja auch schon so. Die Zahl derer, die weniger D 2- Rezeptoren im Gehirn ausweist liegt bei ungefähr 25% der Bevölkerung.

Und jetzt wollt ihr sicher wissen: Was kann/ macht Dopamin? Dopamin ist ein echtes Multitalent! Fast ein Universalbotenstoff, der im Gehirn so einiges bewirken kann. Er sorgt für Wachheit und Aufmerksamkeit. Steigert die Neugierde, das Lernvermögen und die Phantasie, die Kreativität und die Lust auf Sex. Dopamin steuert alles, was wir wollen. Aber halt, das war noch nicht alles! Dopamin sorgt auch dafür, das wir alles dafür tun um auch zu bekommen, was wir wollen! Durch Dopamin fühlen wir uns wir uns motiviert, optimistisch, voller Selbstvertrauen und Tatendrang. Dopamin sorgt dafür das der Entschlossenheit Taten folgen. Zu guter letzt sorgt Dopamin auch dafür, das sich Gehirnzellen untereinander besonders gut vernetzen können. Immer wenn Dopamin im Spiel ist lernen wir schnell und lustvoll.

Aber bevor ihr jetzt loszieht und euch eine Schachtel Ziggis kauft bitte ich euch folgendes zu bedenken: Das menschliche Gehirn ist darauf ausgerichtet, sich in einem „Normalzustand“ zu befinden. Es ist ein sich selbst regulierendes System und lässt sich durch äußere Einflüsse wie das Rauchen nur kurzfristig beeinflussen. Da durch das Nikotin ständig ein Übermaß an Dopamin zur Verfügung gestellt wird muss die Anzahl der D 2 –Rezeptoren reduziert werden um den „Normalzustand“ zu gewährleisten, der im Gehirn angestrebt wird. Das Gehirn stumpft ab. So kommt es, das wir uns mit oder ohne Rauchen nur in unserem „Normalzustand“ befinden. Das Begehren, das wir auf Zigaretten empfinden weil es uns an Anfang durch die erhöhte Depamin- Ausschüttung gute Gefühle verursacht hat ist sinnlos geworden. Schlimmer noch, durch den Suchtmittelmissbrauch wurden die Rezeptoren reduziert und wenn wir jetzt aufhören zu rauchen, haben wir zu wenig Dopamin für die kleine Anzahl der noch vorhandene Rezeptoren und alles verkehrt sich ins Gegenteil! Das kann im Einzelfall bis in das verfallen in totale Lustlosigkeit und Depressionen führen wenn wir das Rauchen aufgeben. Wir fühlen uns hohl und leer.

Die gute Nachricht ist: Das System Gehirn reguliert sich wieder rum selbst und die Zahl der Rezeptoren wird wieder erhöht. Aber das geht eben nicht von heute auf morgen sondern dauert eben eine gewisse Zeit. Auf der anderen Seite haben wir unter dem Einfluss des Dopamins ausgezeichnet gelernt. Alles was nur in Ansätzen etwas mit der Befriedigung des Begehrens „ Ziggi“ zu tun hat wird gespeichert. So kommen die merkwürdigsten Verlangensauslöser für das Suchtmittel zustande. Ich trinke einen Kaffee und will sofort eine Zigarette. Ich sehe eine Freund, mit dem ich geraucht habe und will eine Zigarette. Ich höre ein Lied aus meiner Teenagerzeit und will eine Zigarette. Alles was auch nur in Ansätzen mit der Befreidung der (Rauch-)Lust zu tun hatte wird akribisch gespeichert. So gräbt das Dopamin das durch dir Zufuhr von Nikotin ausgelöst wird eine tiefe Schlucht in das Gehirn. Jede Zigarette die geraucht wird macht das Tal des Wollens tiefer und tiefer. Diese Veränderung des Wollens wird im Gehirn nicht mehr vollständig rückgängig gemacht und so kommt es, das ein ehemals süchtiger auch nach Jahren noch eine plötzliche Verlangensattake verspüren kann und rückfällig wird. Es liegt eine gewisse Tragik in der Tatsache, das Menschen die von der Natur mit wenigen Rezeptoren ausgestattet sind dadurch besonders Neugierig und gleichzeitig besonders anfällig für eine Sucht sind! Besonders die Neugierigen unter uns werden die Suchtmittel ausprobieren und genau sie verfallen ihnen am schnellsten und fühlen sich dann auch am elendesten, wenn sie die Sucht beenden wollen...

Damit kann man ein altes Vorurteil entkräften:Rauchen ist nicht sinnlos! Die Sucht macht durchaus eine merkwürdigen Sinn. Trotzdem ist und bleibt Rauchen natürlich vollkommen unvernünftig und es bringt (langfristig) betrachtet wirklich nur Nachteile! Da ich jetzt mit einer gewissen Sicherheit davon ausgehen kann das ihr alle hier besonders neugierige Zeitgenossen seit, im Gehirn zur Zeit über einen gewissen Mangel an D2- Rezeptoren verfügt und deshalb ein hohes Maß an Dopaminausschüttung vertragen könntet empfehle ich euch zur Beseitigung des mangels: lustvolles Lernen!

Wenn ihr mehr über das menschliche Gehirn und seine Funktion wissen wollt lest das Buch „Die Glücksformel“ von Stefan Klein. Das ist Gehirnforschung in eine für jeden verständliche und unterhaltsame Sprache verpackt.

Verfasst am: 15.09.2015, 18:34
rauchfrei-lotse-meikel
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Hey Wolf,

ömm...danke für deine populärwissentschaftlichen Zeilen. Hochspannend, was sich da in unserer Merkerbse abspielt, cerebral betrachtet...

Was hängen geblieben ist, ist die Tragik, wie Viele durch Laster umkommen. Wusst' ich aber schon vorher...

Alle seelischen Krisen, die wir durchleben müssen, also all das, was unser Gleichgewicht in Bezug auf die Dopaminausschüttung betrifft, werden durch nicht eine einzige Zigarette gelöst oder erleichtert. Das nehme ich aus deinem Post mit.

Wir alle, die wir uns hier miteinander austauschen, haben entschieden, unser Leben frei von der tod- und krankheitbringenden Substanz Nikotin, zu verbringen.

Und ich finde - nach wie vor: Das war die klügste Entscheidung unseres Lebens!

Right?
Meikel

Verfasst am: 15.09.2015, 18:46
WolfMS71
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Hallo Meikel,

gebe dir vollkommen recht, nüchtern betrachtet, dass NMR die einzig sinnvolle Entscheidung ist.

Ich versuche nur Antworten zu finden, warum ich (bin immer noch die selbe Person der dir mit NMR Recht gibt) dann immer noch ziemlich oft eine rauchen möchte und als NMR in depressive Phasen falle...Und es andere NMR gibt, bei denen es schneller geht...Liegt halt auch wieder mal an den Genen bzw. an den D2 Rezeptoren...

Fazit:
Bei mir dauert es nur länger als im Durchschnitt, dass ist nun mein Hoffnungsschimmer und Strohhalm, an den ich mich klammere...

Markus

PS:
Der Titel soll natürlich nur provozieren....

Verfasst am: 15.09.2015, 19:05
rauchfrei-lotse-meikel
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Wolf, mein Lieber...

finde dich schlichtweg damit ab, dass du nicht zum "Durchschnitt" gehörst!

Möglicherweise befindest du dich auch in der bei Allan Carr ( den ich persönlich nicht mag) beschriebenen "3-Monats-Krise", in der sich tagelang massiv altbekannte Symptome zeigen, nach ca. 3 Monaten...?

Jetzt nur nicht nachlassen, Wölfchen...möge die Macht weiter mit dir sein!!!

Dein Meikel!

Verfasst am: 15.09.2015, 19:10
rauchfrei-lotse-meikel
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P.P.S. Das hat er, provoziert zum Nachdenken.

Verfasst am: 15.09.2015, 19:15
acryl
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Hallo Markus,

wie heimtückisch unsere Sucht ist, brauchen wir nicht zu hinterfragen. Wir fühlen es und müssen es leben.
Ich selbst hatte nach zweieinhalb Jahren Rauchfreiheit und aktives Mitglied dieses Forums erst neuerlich einen Rückfall.

Wie beim letzten Mal aber auch hat mir eine Sache geholfen, weg zu kommen von diesem Mist:

Die Entscheidung, nicht mehr zu rauchen.

Klingt banal und eigentlich "zu einfach" - läuft aber genau so. Internalisiere Deine Entscheidung, mach einen Schlussstrich ! Problematisiere nicht den Ausstieg sondern steige aus !

(Musste sein, Meikel )

Lieber Gruß vom
Thomas

Verfasst am: 15.09.2015, 19:19
rauchfrei-lotse-meikel
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Verfasst am: 15.09.2015, 19:20
Prinzip_Hoffnung
Prinzip_Hoffnung
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Hallo ihr beiden,
also da seid ihr euch im Wesentlichen doch einig... ...persönlich find ich so ein paar populärwissenschaftliche Brocken durchaus interessant... und natürlich macht die Sucht einen Sinn... im Sinne von Wirkung... so wie ich mich z.B. auch mit Tabletten beruhigen kann, statt um den Block zu laufen... und im Einzelfall ist das sogar eine gute Wahl... dass sich einige Raucher mithilfe des Nikotin selbst therapieren, ist nicht neu... aber sehr viele könnten langfristig auch ohne diese Droge glücklich leben... besser.... viel besser... ob da noch andere Maßnahmen zur Unterstützung vonnöten sind, wird sich dann zeigen... und ja, vielleicht ist es ja der Mangel am "lustvollen Lernen" der eine Disposition zur Nikotinabhängigkeit begünstigt... könnte bei mir derzeit schon stimmen...

Verfasst am: 15.09.2015, 20:42
WolfMS71
WolfMS71
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Allan Carr mag ich auch nicht. Die drei Monatskrise ist es auch nicht, da ich dieses Gefühl schon lange und fast dauernd habe...

Die Entscheidung habe ich getroffen. Entscheidungen können aber auch wieder geändert werden...

Ich schieb jetzt mal alles auf die Gene...

100 Tage mach ich mal dann schau ich weiter...

Meine Fussbeschwerden kommen ja nicht vom Rauchen, meine Lunge ist in Ordnung, dann passt doch alles

Und für meine Muttermale kann das Rauchen mal gar nix...

Da halte ich es eher wie Zidane...

Markus

Verfasst am: 16.09.2015, 19:22
acryl
acryl
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Hi Markus,

natürlich ist das kein Fingerschnipp, der Rauchausstieg.
Was ich vermitteln möchte ist die Erfahrung, dass man die Problematisierung des Ausstiegs, als wahren Ausstiegshemmer erkennen, sowie der wahrhaft internalisierte "final cut" als Möglichkeit ein entschieden steinloserer Weg sein kann.

Auch in meiner Funktion als Rauchfreilotse habe ich immer wieder Ausstiegswillige getroffen, deren "Entscheidung" aufzuhören eher halbherzig war ... ganz gegen ihre eigene Überzeugung !
Möglicherweise wird da der Wille mit der Entscheidung gleichgesetzt - zwei völlig unterschiedliche Dinge !

Das nur als möglicher Denkanstoß.

Ich wünsche Dir das Beste für Deinen Rauchausstieg. Jeder kann das !

Lieber Gruß vom
Thomas