Neustart - Pfingsten 2019
Grüß Dich Sonja,
also erstmal, ich finde es toll von Dir, daß Du von Deinem Gedanken, rauchfrei zu werden, nicht Abstand nimmst, auch wenn es nicht gleich reibungslos klappt. Ich habe auch mal Deine ersten beiden Threads angschaut, Deine "Ausreden" gelesen, die Dich davon abhalten aufzuhören, und Deine Erfahrungen mit dem Rauchausstieg bis hierher. Und erstmal möchte ich Dir insofern versichern, als daß Deine Regungen für mich, wie wahrscheinlich für uns alle hier, absolut nachvollziehbar sind und daß Dich keiner hier rund machen wird, sowie daß es sich im Rahmen ganz normaler Parameter bewegt, daß Du einen etwas holprigen Ausstieg hast. Ein Aufhörer braucht im Durchschnitt sieben Anläufe. Und in dieser Statistik sind ja die Aufhörer mit 10, 15, noch mehr mit drin. Also mach Dir erstmal keinen Kopf wegen dem holprigen Ausstieg.
Den Willen aufzuhören, spreche ich Dir garantiert nicht ab. Den hast Du sicher, der rangelt aber momentan noch mit dem Willen Deiner Sucht zu überleben. Dazu kommt, daß man erstmal für sich erfahren muß, was einem alles für Stolpersteine im Weg liegen können, wie schwierig es für einen selbst werden kann (das ist im ersten Versuch für viele nämlich so erschreckend, daß sie vor Schreck erstmal vom Aufhören zurücktreten, das ist auch eine ganz normale Reaktion). Das und viele mehr sind alles Erfahrungen, die man erstmal machen muß, um die man nicht drum herum kommt, bevor der Gedanke an den Ausstieg so richtig im Kopf wurzelt und man sich mit den Unannehmlichkeiten abgefunden hat, die er mit sich bringen kann. Bevor man bereit ist.
Aber auf diesem Weg bist Du ja schon ein gutes Stück weiter gekommen! Du weißt nun für Dich, daß es oft Langeweile ist, sowie der gute Kontakt zu Deiner rauchenden Kollegin, die Dich leicht mal stolpern lassen. Also gehen wir ruhig diese Faktoren zunächst an. Dir wurde ja schon angeboten, ein nettes ruhiges Gespräch mit ihr zu führen. Ihr zu verdeutlichen, daß Du jetzt gerne mit dem Rauchen aufhören willst und sie um Verständnis für Deine Entscheidung zu bitten. Vielleicht sogar um Support, Dich nicht mehr zum Rauchen aufzufordern für eine Zeit oder Dich einzuräuchern. Wenn sie so zugänglich ist, das weißt Du besser als ich, Du kennst sie ja. Jedenfalls überraschen uns Menschen auch mal mit Toleranz und Entgegenkommen. Denkst Du sie könnte das?
Ja und gegen Langeweile auf Arbeit kannst Du auch den Relaxball nutzen. Ich denke, auch da könnte sich das Aufgabenglas bewähren. Du schreibst Dir kleine Aufgaben, die Du in der Arbeit erledigen könntest. Was könnte denn das sein... die Büropflanzen gießen. Oder eine Schreibtischschublade aufräumen und auswischen. Schreibtisch umsortieren und abstauben. Aktenablage (igitt, ich weiß, aber gut gegen Langeweile, habt Ihr sowas auch mal?). Einmal das Treppenhaus rauf und runter. Kurz mal mit Reisezahnbürste und -pasta Zähne putzen (hey! um den Ausstieg erträglich zu machen, sind doch alle Mittel recht!). Langsam ein Glas Wasser in kleinen Schlückchen trinken (soll man sowieso ausreichend während der Entwöhnung). Oder was Dir noch so einfällt. Diese Zettelchen tust Du dann in ein großes Glas und stellst es Dir in greifbare Nähe. Bei Schmachtauftreten in Langeweilephasen wird dann ein Zettelchen gezogen und die Aufgabe sofort erledigt. Das beschäftigt Dich dann, bis die Spitze der Schmacht erreicht ist (denn jede Schmacht klingt nach 30 Sekunden bis 3 Minuten wieder ab).
Du kannst auch - das klingt immer ein bißchen seltsam ich weiß - Dir einen auf Zigarettenlänge abgeschnittenen Trinkhalm mitführen und statt einer Zigarette durch ihn "Luft rauchen". Das beruhigt die Sucht auch ein wenig, weil der körperliche Vorgang derselbe ist. Röllchen in der Hand wird zum Mund geführt und dann kräftig inhaliert. Dein Suchtgehirn versteht: Jetzt kommt Futter, und hört schon mal das Meckern auf. Bis es merkt, daß das nicht der Fall ist, wäre der Schmachtgipfel eh vorbei. Dieser Vorgang ist nicht blöder, als verschwelte Gifte zu inhalieren, meinst Du nicht auch?
An anderer Stelle habe ich von Dir gelesen, daß der Rauchstopp in den letzten Versuchen oft mit Aggressivität und Depriphasen einher ging. Also, ein gewisses Maß an Stimmungsschwankungen ist im Entzug völlig normal. Das liegt daran, daß sich sowohl die Psyche nun erstmal auf das Fehlen einer mißverstandenen Stütze auseinander setzen muß, also auch an einer kompletten Umstellung der Körper- und somit auch der Gehirnchemie. Das Nikotin hat die Funktion der Glücksbotenstoffe im Gehirn übernommen, und das fehlt erstmal. Mir fallen da auf Anhieb drei Säulen ein, die helfen können: Bewegung, Belohnung und ärztlicher Beistand. Bewegung, weil sie die körpereigene Produktion besagter Botenstoffe ankurbelt (und noch ein paar andere Vorteile während des Rauchstopps hat, aber wir konzentrieren uns jetzt erstmal auf Deine persönlichen Aspekte). Belohnung, weil sie das Belohnungszentrum anspricht, das wir ja bisher auch mit der Zigarette angesprochen haben. Das liegt also auch blank und braucht Hilfe. Und ärztlicher Beistand, weil Dir der Arzt Deines Vertrauens sagen kann, ob gerade Deine depressiven Momente vielleicht, wenn auch nur vorübergehend, behandlungsbedürftig sind. Also das darfst Du gerne in die Hände eines erfahrenen Mediziners legen Sonja, Du darfst Dir während der Entwöhnung jede Hilfe holen, die Dir dazu geeignet erscheint. Und wir hier können keine Depression diagnostizieren, weil wir kein medizinisches Forum sind. Aber Stimmungstiefs, auch gravierende, sind keine seltene Entzugserscheinung.
Fakt jedoch ist, Du darfst Dir alle Entzugserscheinungen zugestehen Sonja. Sie bedeuten, daß Dein Körper und Dein Geist hart arbeiten, um die Sucht in Schach zu bekommen. Das ist alles in Deinem Sinne, auch wenn es für den Moment vielleicht nicht angenehm ist . Aber gestehe Dir die vorübergehenden Schieflagen zu Sonja, Psyche und Physis arbeiten hart an der Entwöhnung, da ist es doch nur logisch, daß sie grantig werden. Werden wir doch auch, wenn wir bewußt hart arbeiten. Und eine Entwöhnung ist harte Arbeit, die allen Respekt und alles Verständnis verdient. Sorge in jedem Fall dafür, daß es Dir gut geht, frage Dich stets, was Du im Moment tun kannst, damit Du Dich besser fühlst. Außer natürlich rauchen - aber wie Du ja selbst in Deinem ersten Thread geschrieben hast, fühlst Du Dich dann nur noch mieser. Also das ist sowieso keinesfalls die Maßnahme Deiner Wahl.
Toll ist Deine Idee, es dann anzugehen, wenn Du dem Rauch und den sicherlich keinesfalls böse gemeinten Raucheinladungen der Kollegin erstmal nicht so ausgesetzt bist, die Entscheidung ist völlig korrekt. Beim Grillen möchte ich Dich lieber einladen, mit dem guten Erdbeerwein etwas vorsichtig zu sein, denn der Genuß alkoholischer Getränke ist oft im Gehirn mit dem Rauchen verbunden und kann Verlangen damit massiv triggern. Ferner senkt Alkohol die Hemmschwelle, da ist ein "ach dann höre ich halt morgen weiter auf" oder ein lapidares "was soll's schon" schnell gedacht. Also möchte ich Dich bitten, Dich da vorsichtig heranzutasten. (Schwer ich weiß, ich liebe Beerenweine auch... ). Nichtsdestotrotz wünsche ich Euch einen gelungenen Grillabend - geht auch rauchfrei mit Genuß, ehrlich, ich habe es ausprobiert!
Laß jederzeit von Dir hören, wenn Du Fragen hast oder Schieflagen loswerden möchtest. Auch Du findest Deinen Weg in die Rauchfreiheit noch Sonja. Für den Moment wünsche ich Dir schöne sonnige Pfingsten und gutes Durchhaltevermögen. Viele Grüße sendet Dir
Lydia