Vom abhängigen Opfer zum Gestalter meines Lebens
Hallo Zusammen,
also hier nun mein Wohnzimmer. Es soll schön sein, gemütlich, aber auch ernst und hilfreich ... und natürlich ohne Rauch.
Ein paar Worte zu mir: Ich bin 55 Jahre und wohne in Berlin, verheiratet und Vater einer Tochter (1 und eines Sohnes (16). Ich arbeite im Personalbereich und bin gerade dabei meinen Arbeitgeber zu wechseln. Ich reise gern, aber zu wenig, lese zu Sachthemen Geschichte und Psychologie, oder Romane. Mach ein bisschen Sport und gehe auch aus... und bin immer interessiert daran, mehr aus meinem Leben zu machen. Die Fakten meines Lebens lesen sich so erst einmal ganz gut, aber knapp unter der Oberfläche sieht es schon anders aus. Es gibt einiges, was mir nicht so gut gelingt, wie ich es mir wünschen würde.
Der 12.01.23 ist mein erster rauchfreier Tag. Im Januar Zug hatte ich schon zu meiner Rauchergeschichte geschrieben.
Das erste Kapitel begann bereits mit 15 Jahren. Mein älterer Bruder und seine Kumpels rauchten und ich wollte dabei sein. Und ich brauchte immer etwas, um meine Unsicherheit zu überspielen. So fing es an und war dann mit Höhen und Tiefen bis zum 30. Lebensjahr so, dass ich täglich zwischen 15-30 Zigaretten pro Tag geraucht habe. Immer und überall gehörte Rauchen für mich dazu, bevor ich dann in eine Lebensphase kam, wo ich dachte, sch..., ich komm nicht richtig ins Erwachsenen Leben: Arbeit und Familie, ich muss mal etwas ändern und aufhören zu denken, dass sich alles schon alleine richten würde.
Nachdem ich also mit 30 Jahren aufgehört hatte, fing es bereits nach ein paar Jahren wieder auf Partys an. Ein, zwei, drei mal im Jahr. Die Kinder waren klein, da ging ich wenig aus. Dann aber an den Abenden gleich ein paar mehr Zigaretten hintereinander, und meistens hatte ich dann irgendwann im Laufe des Abends genug. Rauchen war einfach so wie früher, in der Jugend sein, etwas sentimental. Aber es ist auch immer die Möglichkeit für mich, mit meiner Unsicherheit in der Situation umzugehen, ein Teil einer psychischen Distanzierung und des Schutzes. Am nächsten Morgen war es eklig und kein Problem, nicht weiter zu rauchen.
Seit ein ungefähr vier Jahren bin ich nun aber häufiger mit Leuten zusammen, wo ich geraucht habe, schleichend wurde es mehr. Die Vermeidung von Angst und anderen schwierigen Gefühlen ist wieder wichtiger geworden. Aber das Rauchen war immer noch sehr begrenzt und das Aufhören am nächsten Tag kein Problem. Aber ich hatte irgendwann eigene Zigaretten.
Dann gab es die Phase, wo ich mich gefreut habe, jemanden zu treffen, mit dem ich rauchen konnte. Wo ich anfing zu überlegen, mit wem ich mich treffen kann, um zu rauchen, naja nicht nur, aber ehrlich gesagt, schon auch.
Und im letzten Jahr kam ich in eine Krise, in der ich anfing wieder allein zu rauchen. Nach einem Urlaub mit täglichem Rauchen im Sommer wurden es in Berlin wieder jeden Tag meist mehrere Zigaretten. Mal mehr mal weniger. Mit anderen mehr und alleine weniger. Nie zu Hause in der Wohnung oder im Büro. Das Gefühl des körperlichen Entzugs kam wieder.
Besonders peinlich war mir die Abhängigkeit vor meinem Sohn, der jetzt 16 Jahre ist. Dem habe ich natürlich immer gepredigt, dass Rauchen schlecht sei und er findet es auch. Dass er jetzt sieht, dass ich entgegen meines Grundsatzes handelte, ist megaunangenehm. Es verbergen zu wollen, machte es nicht besser. Ich "hasse" mich dafür, dass ich inkonsequent bin, ich bin wütend und habe ein schlechtes Gewissen. Es gibt viele Gründe mit dem Rauchen aufzuhören, aber aus meiner Vater Rolle ziehe ich eine Extra Motivation. Mein Sohn ist mir wichtig. Ich will wieder vor ihm stehen mit dem Wissen, dass ich rauchfrei bin. Dass ich meine Überzeugung lebe, auch wenn es mir nicht leicht fällt. Ich tue es, um mich für mich einzusetzen; sich Widrigkeiten zu stellen, das Richtige tun, statt zu klagen, warum es nicht geht. Schluss mit den ganzen Ausflüchten und Erklärungen. Das soll auch die Botschaft an meinen Sohn sein.
Bei meinem ersten Aufhören und Start in die Rauchfreiheit hatte ich einen ähnlichen Anker. Auch damals lief einiges schief in meinem Leben und ich wollte Aufräumen. Das Rauchen, merkte ich, war dabei eigentlich ein einfaches Problem insofern, als dass ich es allein in der Hand hatte, ich musste nur mein Verhalten verändern. Oder etwas größer und allgemeiner formuliert: vom abhängigen Opfer zum Gestalter meines Lebens werden.
Natürlich machte mir das damals auch Angst. Den Schreck erinnere ich gut. Aber der Erfolg war ein Motivationsschub auch für andere Aktivitäten in meinem Leben.
Gelungen ist es mir damals nicht nur wegen der Entschlossenheit. Sondern der Erfolg kam auch mit der Vorbereitung des Aufhörens, Aschenbecher und Zigaretten weg, Auseinandersetzung mit meinem Rauchverhalten, mich informieren, Anti Raucher Meditation und last-but-not least eine angeleitete Selbsthilfegruppe (ca. 6 persönliche Treffen mit 7-8 Teilnehmern mit Rauchstopp). Die Macht der Gewohnheit darf man nicht unterschätzen und eine gute, individuelle Vorbereitung ist so wichtig.
Mir hilft das Wissen dieses Erfolges damals, dass ich es wieder schaffen kann.
Für mich ist es also ein Neustart in ein Leben ohne Tabakqualm, aber auch symbolisch wieder einmal ein Signal an mich, dass es letztlich immer an mir liegt, was ich aus meinem Leben mache. Ich freue mich das mit Euch teilen zu können.
Ich wünsche uns allen gutes Gelingen für die Rauchfreiheit und alle anderen wichtigen, guten Vorhaben, die uns im Leben schwer fallen.
Liebe Grüsse aus Berlin
Torsten