Jetzt doch? Oder nicht? Mein Rauchertagebuch
Liebe Mitleserinnen & Mitleser,
nun ist es also (mal wieder) soweit... Die letzte Ziggo ist knapp eine Stunde her, der Entschluß zum Aufhören (mal wieder) gefasst und die Anspannung für die nächsten Tage wächst. Also was ist nun anders? Eigentlich nicht viel, nur das ich Euch ein bischen über mich erzählen und an den nächsten hoffentlich Tagen, Wochen und Monaten teilhaben möchte. Aber fangen wir von vorne an:
--------- Die ersten Jahre ---------------------------------
Es war einmal, vor einer gefühlt sehr langen Zeit. So sollten ja eigentlich alle guten Geschichten beginnen aber diesmal ist es leider die Geschichte vom Einstieg in die Sucht. Eigentlich bin ich ein "Spätstarter" mit knapp über 18, dem ersten Auto, der neugewonnen Freiheit und einem großen Festival im Norden unseres Landes fing es an. Die erste Zigarette wurde geraucht, man tanzte und feierte ohne auch nur einen Gedanken an die Konsequenzen zu verschwenden. Erst vergleichsweise wenig, dann immer mehr und mehr bis zum aktuellen Stand von 1 Packung/Tag. Bundeswehrzeit, Studium, Arbeit alles wurde von diesem Freund in der Hosentasche begleitet. Die guten und die schlechten Zeiten. Viele Emotionen wurden damit verbunden und die Gewohnheit kehrte ein. Es war "Standard" zur Ziggo zu greifen.
--------- Nach 10 Jahren ---------------------------------
Das Jahr 2010 war ein deutlicher Umbruch in meinem Leben. Erst das Ende einer langjährigen Beziehung auf sehr unschöne Weise, dann viel Streß mit neuer Wohnung, Chaos auf der Arbeit, wenig Schlaf und seeeehr vielen Ziggos (locker 2 Pakete/Tag) und dann am 17.08. der Zusammenbruch. Eine verschlepte Lungenentzündung verbunden mit dem übermäßigen Zigarettenkonsum brachte mir 4 Monate Krankenhaus ein. Unzählige Operationen, Schmerzen die man sich nicht vorstellen mag, eine nun fehlende Rippe, Deformation des Oberkörpers und eine massiv eingeschränkte Funktion des linken Lungenflügels um nur ein paar kleinere Themen zu nennen. Von heut auf morgen war ich im Krankenhaus ohne Ziggo und habe es nicht vermisst, die "Ablenkung" durch die OPs war zu groß. Eigentlich ein idealer Zeitpunkt um es gelernt zu haben und endgültig der Sucht abzusagen - weit gefehlt. Als es nach 3 Monaten nicht wirklich voran ging, die Wunden sich nicht schließen wollten, die OPs immer größer und mit Komplikationen verbunden auftraten kaufte ich mir noch im Krankenhaus meine erste Packung Ziggos. Mit 3 Drainagen, meinem Tannenbaum an Geräten saß ich also im Raucherbereich der Lungenklinik und steckte mir die erste Ziggo wieder an. Aus Frust das nichts voranging, aus Trotz, aus Hass auf jeden und alles. Keine Ahnung ich habe oft drüber nachgedacht warum ich so dumm war aber rational denken ist bei Süchtigen nunmal sehr schwer (obwohl ich ansonsten ein sehr rationaler Mensch bin). Da war der Freund in der Hosentasche wieder, der mich so lange begleitet hat.
--------- die letzten 6 Jahre ---------------------------------
Gesundheitlich waren die letzten Jahre ein auf und ab. Die Wunde von der großen OP wollte sich nie richtig verschließen (eine drainierende Fistel im Bronchialsystem wie die Ärzte es so schön nennen), manchmal hatte ich ein paar Wochen Ruhe dann kamen wieder Zeiten in denen ich alle 3-4h die Pflaster wechseln musste weil es durchgesuppt war. Die Ärzte waren ratlos und erhöhten nur meinen Frust auf jeden und alles. Eine neue OP mit sehr ungewissen Aussichten (ich liebe diese "50/50" Aussagen inzwischen) und dem Risiko weiterer Komplikationen wollte ich mich nicht aussetzen. Privat ging es wieder bergauf, ich lernte meine wunderbare Freundin kennen & lieben und der Job wurde deutlich angenehmer - auch weil ich mich verändert hatte nach dem Krankenhaus. Nur der Freund in der Hosentasche blieb.
--------- seit April 2016 ---------------------------------
Nun sind wir in diesem Jahr angekommen. Ich lebe seit rund 4 Jahren in einer Fernbeziehung, das "Aufhören" (meine Freundin ist Gelegenheitsraucherin gewesen, 2-3 Ziggos auf einer Party und dann monatelang nicht) war nie ein Thema, es hatte sich wieder Routine in meine Sucht eingestellt. Doch dann eröffnete mir mein Engel das wahrscheinlich größte Geschenk, was ein Mann bekommen kann - wir werden im November Eltern. Ich war überglücklich, nahm mir vor nun endlich das Rauchen aufzuhören um unserem Kind ein Vorbild zu sein, meiner Gesundheit einen riesigen Gefallen zu tuen (ich möchte unser Kind aufwachsen sehen, nichts mehr als das) und endlich die Sucht zu besiegen. Seitdem bin ich an unzähligen Versuchen gescheitert, immer zwischen 2-6 Tagen. Dann hatte mich die Sucht wieder, meist bei einer sehr stressigen Situation oder aber aus Langeweile. Ich habe zwei Arbeitskollegen die beide das aufhören "ganz locker, ist ja kein Problem" in dieser Zeit geschafft haben was meinen persönlichen Frust nur noch höher trieb. Warum schaffen die das und ich stell mich so unsagbar blöd an? Wie bescheuert bin ich eigentlich? Ich hab doch alle Gründe um endlich loszukommen. Ich hab es mit allen "Hilfsmitteln" versucht, Pflastern, Hypnose, E-Ziggo ohne Nikotin aber eigentlich ist das nur ausgemachter Schwachsinn um vom wahren Problem abzulenken: ich bin süchtig nach Nikotin. Der Freund in der Hosentasche ist eigentlich mein Feind.
--------- heute ---------------------------------
Nun also der nächste Neuanfang. Warum jetzt? Ganz einfach: warum nicht jetzt? Es ist absoluter Mumpitz sich einzureden, dass es irgendwann leichter fällt wenn ein bestimmter Zeitpunkt eingetreten ist. "ach wenn das eintritt, wenn xyz passiert, wenn unser Kind da ist" alles nur Ausreden um es möglichst weit rauszuschieben. Ich bin meine eigenen Ausreden leid, die Hustenanfälle in der Nacht, den schlechten Atem, die stinkenden Klamotten, die ewig suppende und echt übel riechende Wunde wenn es mal wieder zu viel war, den hastigen Griff in die Hosentasche um zu checken ob noch Ziggos da sind, die Schweißausbrüche wenn nichts mehr zum Rauchen da ist und man schnell zur nächsten Tanke muss. Ich will wieder frei atmen können wie ich es das letzte Mal vor 16 Jahren gemacht habe. Und ich möchte unserem Zwerg ein Vorbild sein wenn er auf die Welt kommt.
Da sitze ich und habe Euch meine Geschichte erzählt. Es ist der 05.08.2016 seit 16:20 bin ich ohne Ziggo. Es ist mein Tag X.
Vielen Dank fürs Mitlesen und viele Grüße
Dennis
Hallo Dennis,
Ich wünsche Dir für Dein Vorhaben allen erdenklichen Erfolg.
Du wirst es schaffen.
Liebe Grüße
Bonifaz
[color=purple]Danke [/color]Ihr Lieben
Ja so ein paar Vorbereitungen habe ich hinter mir (bin nicht mehr so blauäugig es "einfach so" zu schaffen)
- ausreichend O-Saft und Grapefruit für eine Großfamilie
- 2 kg Möhren für das "Gefühl was in der Hand zu haben"
- Stressbälle zum an-die-Wand-werfen in Frustsituationen
- leckeres Obst als Belohnung wenn ich dem Verlangen wiederstanden habe
Dazu sind die ganzen Raucherklamotten in der Wäsche damit ich den Gestank nicht in der Nase habe.
Mal gucken wie der Rest des Abends läuft, immer ein Step nach dem Anderen
Liebe Grüße
Dennis
Krasse Geschichte.
Ich wünsche dir, dass du es hinbekommst! Ich denke, einen besseren Grund kannst du dir nicht wünschen, oder?
Danke für die Tipps :-)
Trinken werde ich die Tage kräftig (bis auf das Bier, lasse ich dann doch lieber weg *g*). Den Strohhalm habe ich durch meine Möhren ersetzt - dann hab ich auch gleich was gegen die Hungerattacke
Ich habe das große Glück kein "Wohnungsraucher" gewesen zu sein und meinen Kaffee ohne Ziggo genießen zu können (ansonsten hätte man ja garkein Laster mehr :riesengrinser.
Welche Bonbons empfiehlst Du? Fisherman sind für mich nicht mehr "scharf" da bin ich auf Tipps gespannt!
Eine Überlegung von einem Freund: Einmachglas mit den alten gerauchten Kippen. Bei einem Schmachtanfall aufmachen und dran riechen dann vergeht die Lust wohl sehr schnell wieder.
Liebe Grüße
Dennis
Update: es ist immer noch Tag X.
Spontan hat sich meine ehemalige Nachbarin und Ihre Freundin gemeldet ob wir uns nicht auf ein Bier treffen sollen. Alte Gewohnheit, mit den Mädels bin ich in den letzten Monaten aufgrund eines Todesfalles im Freundeskreises durch schwere Zeiten gegangen. Das Bier an sich war nicht das Problem, bei zwei Raucherinnen war aber der Griff zur Kippe schnell getan. Und schon hatte man in den 2 Stunden geselligen Zusammensein 4 Ziggos geraucht, den Drecks Geschmack wieder im Mund und der kleine Teufel Nikotin auf der Schulter hat mich über meine Schwäche ausgelacht.
[u]Merke:[/u] vor Allem in den ersten Tagen/Wochen wenn man noch nicht gefestigt ist und der Entzug die Sinne überlagert sollte man sich von solchen Situationen fernhalten, nicht den besten Freund der Ziggo dem Bierchen fröhnen und vor allem den Bekanntenkreis auch in die eigenen Pläne einweihen. Danach waren sich die beiden sicher "ach hättest das mal früher gesagt dann hätten wir Dir keine angeboten"
Neustart der 72h Challenge - immernoch am 05.08. - 22:00
Liebe Grüße
Dennis
Hallo Dennis,
mit großem Interesse habe ich Dein "Rauchertagebuch" gelesen. Du scheinst noch ein paar Jahre jünger als ich (50) zu sein. Gesundheitlich klingt das alles bei Dir gar nicht so gut.
Ich hab schon Schlaganfall und eine Dreifach Bypass OP hinter mir. Und auch bei mir in der Reha nach der OP wurde wieder geraucht, leider.
Alles vermeintliche Aufhören nützt nichts, wenn man es nicht zu 100 Prozent will. Der Kopf ist das Entscheidende. Ich rauch jetzt auch erst seit Diemstag nicht mehr, am Montag waren es noch drei Zigaretten. Davor hab ich zwischen 12 bis 17 Zigaretten am Tag geraucht.
Nun macht mein Kopf mit, klar ist es nicht so einfach. Wenn es ganz schlimm wird, hab ich noch ne Packung auf dem Fernseher liegen, dort ist noch eine Zigarette drin und dann rieche ich einfach daran. Ansonsten esse ich jetzt halt mehr. Diese Lutschtabletten mit Nikotin hab ich nicht vertragen, muss auch nicht, ich lutsche jetzt die normalen Hustenkamellen.
Also, ich drück Dir die Daumen, Dein Kopf muss klick machen, sonst geht es nicht.
Toi, toi, toi,
Udo
[quote="Dendiir"]
Danach waren sich die beiden sicher "ach hättest das mal früher gesagt dann hätten wir Dir keine angeboten"
[/quote]
Wäre sicher besser gewesen, sie von vorn herein einzuweihen. Aber dennoch, die Schuld geben kannst du ihnen auch nicht. Ich habe oft die Erfahrung gemacht - als Raucher - dass es nicht einfach ist, einen NMR zu akzeptieren. Ich habe mich durchaus auch dabei ertappt, wie ich jemandem eine Zigarette angeboten habe, nur um zu sehen, ober er nicht doch einknickt... Nicht sehr nett, ich weiß. Aber ich glaube, das gehört alles zum Muster "Sucht".
[quote="Dendiir"]Neustart der 72h Challenge - immernoch am 05.08. - 22:00
[/quote]
So isses recht - wieder auf ins Gefecht!
Viele Grüße
stan
Moin moin zusammen,
erstmal @Stan: natürlich habe ich den Mädels keinen Vorwurf gemacht es war definitiv meine eigene Dummheit sie nicht vorher einzuweihen Fehler akzeptiert und wieder was draus gelernt.
Die Nacht lief sehr entspannt ohne große Probleme. Teilweise wird von Schlaflosigkeit und Unruhe berichtet aber entweder ist dies bei mir (noch) nicht der Fall oder meine komplett tiefenentspannte Katze wirkt auf mich über.
Das Aufstehen war komisch, die Gewohnheit nach dem Waschen und Anziehen erstmal auf die Terasse eine rauchen... Hm... ja... ok... und was nun? Die von Aki genannte Atemtechnik half den ersten "Schock" zu überwinden. Jetzt sitze ich hier mit meiner Möhre und meinem Kaffee auf dem Balkon, streichel meine Katze und schreib ein paar Zeilen an Euch.
Es ist Tag X+1,12h 58 min rauchfrei... das klingt nach echt wenig.
LG
D