"Alle die von Freiheit träumen"
Eine kleine Geschichte von mir für euch
Angefangen hatte ich mit 15 im Sommer 1997 im Waldschullandheim. Es war in der Lüneburger Heide und es war trocken. Da man Angst hatte die Schüler würden heimlich im Wald rauchen, erlaubte man es uns in der dort eigens ausgewiesenen Raucherecke zu rauchen. Wir waren alle zwischen 14 und 15 damals. Was heute undenkbar wäre war damals die rationale Entscheidung des geringeren Übels: Waldbrand oder ein paar Kinder die Fluppen rauchen? Und da es so unheimlich cool war mit den Lehrern in der Raucherecke zu stehen und eine zu quarzen, war ich natürlich mit vorne dabei. Vorher rauchte ich zwar auch schon mal unregelmäßig die eine oder andere Zigarette aber da fing es dann wirklich an. Und in der Schule war das einfacher als Zuhause. Da damals rauchen ab 16 war, hatten wir an unserem Gymnasium eine Raucherecke. Es war völlig normal in den Pausen schnell eine durchzuziehen. Rauchen an der Schule, was heute für Entgeisterung sorgen würde, war damals eine nicht hinterfragte Selbstverständlichkeit. Später im Job ebenso: Selbst im Großraumbüro hieß es ab 16 Uhr "Feuer frei".
Und so blieb es auch knapp 11 Jahre mit am Ende rund 30 Fluppen am Tag. Es war das Jahr 2008, mittlerweile das Abitur und eine Ausbildung absolviert, fing ich im Februar 2008 an eine neue Arbeitsstelle zu bekleiden. Wie so oft lernt man als Raucher die ersten Kontakte in dem Raucherbereich kennen. Und das war in dem Job sehr einfach und ich war nach einem Monat in der Raucherecke ein gern gesehener Gast.
Doch nach der Arbeit, vor allem am Morgen, ging es nicht mehr. Ich rotzte nach dem Aufstehen erst mal den Dreck vom Vortag nach oben und spuckte es ins Waschbecken. Das machte ich bereits schon seit einigen Monaten. Und es war erschreckend für mich. Ich bin zu der Zeit 26 und kotzte meinen morgendlichen Auswurf in das Spülbecken, wie ich mir vorstellte, dass es ein Rentner macht, dem sie kein halbes Jahr mehr geben. Ich war von mir angewidert.
Was tun? Das war damals schwer, fand ich zumindest. Rauchen war noch völlig in der Mitte der Gesellschaft. Erst ein Jahr zuvor echauffierte ich mich darüber, dass die Politik das Rauchen in Gaststätten, Discos & Co verboten hat. Rauchen galt höchstens als Makel aber gewiss als kein durchweg schlechter.
Ich habe dann von einem auf den anderen Tag meine noch volle Zigarettenschachtel genommen und sie im Hausmüll unserer großen Wohnanlage entsorgt. Ich wusste von früheren Versuchen: Wenn ich etwas daheim habe, werde ich es nicht schaffen. Und ich darf die letzte Zigarette nicht zelebrieren, nicht als etwas besonderes feiern. Ich darf mich an den letzten Zug im Leben nicht mal genau erinnern. Ansonsten habe ich Sehnsucht und das hatte bereits in der Vergangenheit einen Todesstoß zur Folge. Also einmal die Faust zusammen gepresst, die Zigaretten damit zerdrückt und ab in die große Tonne.
Leider war es nicht so, wie ich es mir mit meiner Willenskraft vorstellte. Ich haute mir mehrere Nikotinpflaster auf meinen Oberarm. Da hingen locker 5 Stück dran. heute weiß ich, es ging bei mir überhaupt nicht ums Nikotin als solches. Es ging um Rituale, um Dopaminschübe, um Zugehörigkeit und auch um Gewohnheit.
Und ich war trotzdem drauf und dran bereits nach ein paar Tagen aufzugeben. Ich war dazu noch aggressiv, gereizt und unausstehlich. Noch dazu war ich nicht mehr in der Raucherecke der Firma und damit schwanden meine sozialen Kontakte. Auch sagten mir dortige Raucher die ich auf dem Flur traf: Du schaffst das nicht. Und zwar offen ins Gesicht. Heute denke ich es ist eine Art Selbstschutz der Raucher gewesen. Sie wollten nicht, dass es ein anderer hin bekommt, da sie dann ihre eigene Lage nicht gut reden können. War ich vorher genauso? Das kann schon sein.
Doch dann kam eine glückliche Fügung. Heute muss ich an Paulo Coelho - Der Alchimist denken, den ich damals noch nicht kannte: "Wenn du etwas ganz fest willst, dann wird das Universum darauf hinwirken, dass du es erreichen kannst."
Was schickte mir das Universum? Eine Jugendfreundin, die ihren USA-Austausch nutzte um davon weg zu kommen, empfahl mir bei einem Telefonat Allen Carr. Damit hätte sie es geschafft. Ganz ehrlich, ich hielt nicht viel davon. Und die Freundin war nun auch nicht die beste. Aber hey, die schafft das und ich nicht?! Ich, der sich nur mit einem Rucksack und Zelt in der freien Natur durch so manches Land gekämpft hat? Die schafft es und ich werde scheitern? Ne, das ging einfach nicht. Da war mir mein Ego im Weg.
Also bin ich um die Ecke zu dem Bücherhandel und kaufte mir ein Buch von Carr. Und wenn ich es nur kaufte um mir zu beweisen, dass es nicht daran lag.
Ich hasste diesen Schinken. Er war dumpf, nervig und langweilig. Noch dazu kontraproduktiv, da ich ja schon aufgehört hatte, in dem Buch aber las ich könne ruhig noch weiterrauchen, ich würde schon von selbst nach dem Lesen damit aufhören. Nein, ich wollte doch durch Willenskraft aufhören. Dachte ich zu der Zeit zumindest.
Aber was soll ich sagen, auch wenn ich das Buch nicht mochte: Es wirkte. Vermutlich bekam er mich an einer Stelle. Ich habe endlich verstanden, dass sich ein Nichtraucher genauso fühlt, wie ein Raucher der gerade in einer stressigen Situation eine Kippe rauchte. Dieses erhabene beruhigende Gefühl. Nur hat das der Nichtraucher ständig, während der Raucher von einer Kippe zur nächsten krebst. Ich kann es nicht sagen, woran es lag. Aber trotz der Abneigung gegen dieses Buch, machte es etwas mit mir.
Später erfuhr ich, dass Carr selbst bereits seit zwei Jahren tot war, an Lungenkrebs gestorben. Ich bin ihm sehr dankbar. Und da fallen mir doch diese Zeilen ein:
Alle die von Freiheit träumen
Sollen's Feiern nicht versäumen
Sollen tanzen auch auf Gräbern
Freiheit, Freiheit
Ist das einzige was zählt
- Westernhagen
Danke Allen, ich tanze in Gedanken vor Dankbarkeit auf deinem Grab. Ich hätte es nie anders hin bekommen. Und wäre mein körperlicher Verfall damals weiter gegangen, weiß ich, dass ich heute ein Wrack, wenn nicht schon an Krebs gestorben, wäre. Um das ganze Geld ging es mir nie, auch wenn das ein schöner Benefit ist.
Ich würde lügen, wenn ich behaupte ich wäre für alle Zeit geheilt. Noch heute ist mein Suchtgedächtnis anwesend. Es fällt mir nicht schwer, doch merke ich bis heute so einen kleinen fiesen Troll in meinem Hinterkopf. Aber der wird mit der Zeit leise, sehr leise.
Nun, am Mittwoch, den 27. März, jährt sich dieses Ereignis als ich meine Zigaretten wegwarf zum 16. Mal. Ich bin nun 5842 Tage rauchfrei. 175.000 nicht gerauchte Zigaretten. Ich möchte das als Motivation für euch dalassen. Es war kein geradliniger Weg. Es war auch gewiss nicht in dieser Art und Weise geplant. Und trotzdem ging es. Und wenn ich das hin bekommen habe, bekommt es auch jeder andere hin.
Liebe Grüße
Jan
Hallo Jan,
danke für deine Geschichte. Eindringlich, wunderschön und nicht lehrmeisternd.
Es ist wirklich verrückt, was das Rauchen mit uns Menschen macht. 16 Jahre - und immer noch den Troll im Hinterkopf. Ich befürchte das wird nie wirklich vergehen.
Irgendwo hatte ich hier im Forum mal gelesen. Wir sind Raucher die gerade nicht rauchen. Ist wohl etwas wahres dran.
Ich möchte nie mehr in meinem Leben rauchen - Geschichten wie deine unterstützen mich in meinem neuen Leben als Nichtmehrraucherin.
Gruß, Sternchen Eva
Lieber Jan,
danke, dass du dir die Zeit genommen hast deine Geschichte aufzuschreiben, obwohl du ja schon so lange "frei" bist und den Kampf schon gewonnen hast. Für mich als frische Nichtraucherin sind solche Erfolgsgeschichten extrem motivierend.
Bei mir hat Allen Carr nicht gewirkt und wie du fand ich das Buch unfassbar langweilig und stumpf, weil repetitiv. Habe mir schon überlegt: Falls ich rückfällig werde muss ich das wieder lesen, als Strafe quasi . Ich hab ihn damals natürlich auch gegoogelt und gelesen, dass er auch Dinge behauptet wie es gäbe keine körperliche Abhängigkeit von Alkohol. Wenn man Menschen mit einer ausgeprägten Alkoholabhängigkeit kennt, sind solche Aussagen mindestens fahrlässig, eigentlich sogar gefährlich.
Aber mit einem hat er wirklich recht: Der Raucher macht sich mit dem rauchen von Zigaretten nur für eine kurze Zeit so glücklich, wie der Nichtraucher ohnehin immer ist. Das sollten wir uns immer vor Augen halten.
Danke nochmal und weiterhin alles Gute für dich.
Hallo Jan, das ist eine sehr schöne Geschichte. Ich kann mich an meine Grundschulzeit erinnern-da gab es auch eine Raucherecke und alle-wirklich alle- wussten, dass dort die älteren Schüler rauchten aber die Lehrer liessen gewähren.
Ich habe es übrigens auch mit Carr geschafft, es war mein erster Versuch und ich habe es bei diesem ersten Versuch geschafft mich von dieser Sklaverei zu befreien und die Überschrift passt sehr gut dazu. Ich bin Allen auch so dankbar und denke oft an ihn- er war auch ein starker Raucher und er ist ein großes Vorbild für mich.
https://www.youtube.com/watch?v=Jfr9vYS_Aww Westernhagen-Freiheit-
...die Verträge sind gemacht ... ich habe auch ein Vertrag gemacht. NIE WIEDER WERDE ICH RAUCHEN!!!
Ich wünsche dir eine schönen Montag
vlG Klaus