Es ist machbar!

Seit dem 13.02.2011 bin ich, nach 13 jähriger Raucherkarriere, Nichtraucher. "Nichtraucher", allein das Wort kam mir mindestens ein ganzes Jahr lang nur ganz schwer über die Lippen und auch heute ist es irgendwie noch ein merkwürdiges Gefühl, mich voll und ganz damit zu identifizieren.

Gleichwohl ich seit diesem kalten Februartag vor über 2 1/2 Jahren keinen Zug mehr aus meinem einst geliebten Glimmstängel nahm. Nichtraucher zu werden bereitete mir im Lauf der letzten Jahre aber nicht nur die allseits bekannten gesundheitlichen und finanziellen Vorteile, sondern zeigten mir vor allem grundsätzlich neue Facetten meiner selbst. Zum Beispiel, dass ich in der Lage bin auch mal "auszuhalten" und nicht durchdrehe, wenn ich nicht sofort meinen Begierden nachgehe. Zu lernen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, sich nicht fremd steuern lassen zu müssen. All das und mehr knöpfte auch im Alltag an meine Rauchentwöhnung mit an.
Ich beginne von vorne: Im Februar 1998 begann ich mit 16 Jahren meine Raucherkarriere. Ich wusste selbstverständlich schon zuvor, dass Rauchen krebsgefährdent ist und viele andere negative Eigenschaften nach sich ziehen kann. Da rein - da raus. Und dann, als Raucher? Was tut man, wenn man z.B. im Biounterricht eine Raucherlunge präsentiert bekommt? Wegschauen, Nicht Hinhören, sich nicht identifizieren, verdrängen...und zum durchatmen in der Pause danach gleich mal eine quarzen.... Klar will man immer mal wieder aufhören... der Freund mag keinen Aschenbecher küssen.... die Kippenpreise sind schon wieder so unverfroren gestiegen, dass man ständig pleite ist. Für dieses und jenes hat man kein Geld... vielleicht ab jetzt nur noch bei Aldi einkaufen? Das mit dem Urlaub im Sommer klappt doch nicht, naja....Einsparungen beim Geburtstagsgeschenk für XY, damit man später noch ein frisches Päckchen holen kann.... Larifarie, was interessieren mich fremde Raucherlungen? ist ja nicht meine! Anonymität und Verdrängung sind die Zauberwörtchen der Süchtigen. Bis ich eines Tages, 2006, den Fernseher einschaltete und eine Abschieds-/ Ehrensendung für Rudi Carell sah. Nicht dass ich ihn besonders gerne mochte, aber man kannte ihn eben seit Kindertagen. Und jetzt betrat dieses völlig abgemagerte, optisch 200 Jahre alte, lungenverkrebste Wrack die Bühne. Mir wurde schlecht. Ich musste eine rauchen. Die Zigarette schmeckte scheußlich. Ich MUSSTE sie wegwerfen. Von da an konnte ich nie wieder mit Genuss eine qualmen. Und dennoch dauerte es noch fast 5 Jahre bis ich ohne Vorankündigung von einem Tag auf den anderen aufhörte. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt wie gesagt schon lange keinen Bock mehr zu rauchen, aber die Sucht..... Und dann das blöde Geschwätz von Exrauchern, die behaupteten, es wäre ja soooooo leicht aufzuhören. Man müsste nur den Willen haben und es einfach machen. Ich fühlte mich hundselend und schwach. Was hieß das denn nun konkret? "Einen festen Willen haben", wie fest ist fest genug? Und warum habe ICH ihn nicht? (Sonst hätte ich es ja schon geschafft mal länger als ein paar Tage rauchfrei auszuhalten... z.B. als ich mir die Weisheitszähne ziehen lies und mit blutigem Maul eine direkte Blutvergiftungsgefahr bei Kontamination mit Rauch bestand oder als ich Pfeiffersches Drüsenfieber hatte und mir jeder normale Atemzug wie Messers Klinge in die Kehle schnitt.....).
Auch die Pille sollte ich wirklich nicht länger, als bis ich 30 werde nehmen wenn ich rauche.... Thrombosegefahr! Und wenn ich irgendwann schwanger werden will, müsste ich vorher ohnehin clean sein!
Der Druck, der S T R E S S ! Ich brauchte die nächste Zigarette...
Während ich meine letzte Zigarette nun an besagtem Februarabend 2011 auf den Stufen eines Kinos rauchte, wusste ich nicht, dass es meine Letzte war.
Der Film "Love and other drugs" versetzte mir den letzten "Kick". Als ich nach dem Film im Auto neben meinem Freund saß, war ich wie gelähmt. Unfähig zur dringend benötigen Fluppe zu greifen. Ich hielt es aus. Am nächsten Morgen las ich mir zum X-ten Mal die Gebrauchsanweisung des Inhalers durch, welcher mir immer am geeignetsten für mich, zur Abschwächung der stärksten Entzugssymptome erschien. Damit und mit dem angebrochenen, fast noch vollen Bigpack von gestern abend in meiner Handtasche bewaffnet, verging dieser und die nächsten Tage wie in Trance. Zu jeder Gelegenheit in der ich früher geraucht hätte, überkam mich nun der blanke Entzug. Ein paar Züge an meinem Inhaler (der sich die ersten Wochen stets in meiner Hosentasche befand) und das Wissen, dass sich MEINE Zigaretten immer in meiner Nähe befanden, verhinderten, dass ich 24/7 nackisch aus der Hose hätte hüpfen können! Denn Linderung durch Inhaler und die pure Anwesenheit einer vollen Schachtel verhinderten zum Entzugsstress wenigstens die Panik, die volle Dröhnung, so wie sie jeder Raucher in folgender Situation kennt: Die Nacht wurde laaaaang... Ärger und Diskussion, Kippen sind alle. Kleingeld auch.... Der Tank ist leer und die nächste offene Tanke, welche zu dieser Uhrzeit noch Zigaretten verkauft ist eine viertel Stunde entfernt.................................................!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Der blanke Horror für jeden Raucher!
Das wichtigste war für mich, DIESES Gefühl in jeder Sekunde meiner Abstinenz zu vermeiden! Dieses Gefühl, dass blindlinks alle Sinne ausschaltet und den Menschen zum Zombie werden lässt, der alles kurz und klein schlagen könnte, damit er an die nächste Fluppe kommt.
Und das Zweitwichtigste: Ich erlaubte es mir endlich, mir auch während dieser "heißen Phase" einzugestehen, dass Aufhören verdammt schwer ist. Schluss mit dem schlechten Gewissen, dass die Exraucher einem einreden: "Aufhören ist ja soooo einfach". Das demotiviert nur, während man tierisch auf Entzug ist und glaubt, man selbst sei der einzig abnormale Mensch, dem Aufhören schwer fiele. Alle anderen Exraucher sagen doch, die Arbeit sei schon getan, wenn man nur endlich den Willen hätte....
NO! Der Entzug ist sauschwer, aber (und das ist das beste daran) er ist machbar!!!!!!!!!!!!!!!!!
Einen grausigen Chef auszuhalten ist auch sauschwer, ebenso eine Klausur über eine stinklangweilige Lektüre zu schreiben. Aber das alles gehört zur Kategorie: Machbar!
Es gibt auch Dinge, die nicht machbar sind. Nichtraucher zu werden gehört nicht, wie ich zu lange glaubte zu den Unmöglichkeiten des Lebens. Etwa ein halbes Jahr lang ist jeder Tag aufs Neue ein Tag, den man als kämpfend abstinenter Raucher beginnen muss und als Nichtraucher beendet.... bis sich die Wogen langsam glätten und man vom Abend bis zum nächsten Morgen Nichtraucher bleibt. Jeder Tag ist ein Fortschritt.
Mit jedem Tag verflüchtigt sich der nervöse Entzug mehr und mehr.
Ich glaube mittlerweile, es ist utopisch zu glauben, dass es einen irgendwann NIE WIEDER überkommt, das Bedürfnis nach einem tiefen Zug aus der Zigarette zu haben. Aber: es passiert immer seltener. Ich schätze, dass es bei mir etwa noch einmal im Quartal vorkommt. UND: Das Bedürfnis ist sehr deutlich abgeschwächt. Es ist kein Enzugssymtom mehr, sondern nur noch ein Bedürfnis, wie man eben auch manchmal "Bock auf ein Eis" hat. Kauft man sich ein Eis ist es gut, wenn nicht, kann man auch ohne damit leben (was Raucher ja genau nicht können!). Die Lust nach dem Eis verfliegt einfach nach Sekunden, ohne dass man einem Ausraster nahekäme. Das ist der deutlichste Unterschied. Irgendwann wird es zur freien Wahl, bei der man ganz einfach NEIN sagen kann, weil die Sucht nicht schon automatisch vorher JA gesagt hat! Dahin zu kommen ist harte Arbeit. Aber Arbeit die sich lohnt. Und zum letzten Mal:
Es ist machbar ;-)

eingesandt von Ladylion