Das Monster in mir

Verfasst am: 05.03.2014, 23:19
rauchfrei-lotse-meikel
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Hallo community,

der nachstehende Post wird nichts beschönigen.

Ich werde offen berichten. Darüber, was zur Zeit mein Lebensmittelpunkt ist - schicksalshaft, quasi. Obwohl: Ist "Schicksal" nicht etwas, ohne wirkliches, eigenes Zutun...?

Ich habe COPD. Und seit heute als "Notfall" eingewiesen im Krankenhaus.

Mit wenigen Ausnahmen, wird diese Lungenerkrankung aufgrund jahre-/jahrzehntelangen Rauchens "erworben". COPD wird in 4 Stadien unterschieden. Das Lungengewebe wird zerstört, je nach Ausmaß wird die Sauerstoffversorgung aller Systeme beeinträchtigt.

Seit 16 Tagen kann ich meiner Arbeit nicht mehr nachgehen. Bronchitis. Die erste Antibiotika-Kur über 12 Tage brachte leichte Linderung, eine Genesung hätte anders aussehen können.

3 Tage später der Rückfall-vorgestern.

Der Arzt verschreibt mir das stärkste, ambulant mögliche Antibiotikum. Mit der klaren Ansage:" Wenn nicht innerhalb von 48 Stunden Besserung eintritt...Krankenhaus. Zur Not mit Blaulicht.

So kam es dann auch. Meine Sauerstoffversorgung drohte komplett zu kollabieren. Lebensgefahr.

38 exzessive Raucherjahre haben mich dahin gebracht. Schleichend aber konsequent habe ich ein Monster in mir gezüchtet, das mich töten will. Genau wie aktuell rund 5 Millionen andere Deutsche. Längst ist COPD zur Raucherseuche Nr. 1 geworden. Tendenz steigend.

Es ist häufig ein langsamer Tod. Vorher steht die Einschränkung der Mobilität, der Verlust. Gestern konnte ich maximal 5 Meter gehen, bevor sich ein Erstickungsanfall ereignete. Keine Atemnot...Todesangst.

Arbeiten wird unmöglich, die Frührente kommt. Muskeln bauen sich ab, die Mobilität sinkt weiter, am Ende steht die Rundum-Betreuung in einem Pflegeheim. Bis einen der Tod erlöst.

Die Abteilung "Pulmologie" in einem Krankenhaus ist eher keine Abteilung, in der gestorben wird. Wer hier kollabiert, ist innerhalb von 120 sec. auf der Intensiv.

Wir kennen alle die gesundheitlichen Konsequenzen unseres Tuns?

Hier hast du das geballte Elend vieler vieler Raucher-Karrieren. In meinem 3-er Zimmer gibt es Adolph, 74. Adolf hat Lungenkrebs. Endstadium. Linderung der Schmerzen und Beschwerden, thats it. Hans ist 64 und hat COPD, im Endstadium. Er hat gerade 4 Wochen Krankenhaus hinter sich, war 2 Tage zu Hause, Rückfall, Krankenhaus. Heilung: Ausgeschlossen. Es gibt hier 28 Zimmer. Alle Facetten und Schweregrade sind vertreten. Die chronisch Unterbesetzte Pflegeabteilung ist am Limit, immer. Weil alle, nahezu alle auf Hilfe angewiesen sind. Beim Essen, der Körperpflege, beim Stuhlgang. "Herr A.", sagt die Schwester zu meinem Bettnachbarn. " Sie müssen heute die Bettpfanne benutzen. Wir haben heute keine Zeit, sie auf die Toilette zu begleiten."

Menschenwürde sieht anders aus.

Es mag sarkastisch klingen. Aber all dieses Elend, dieses Leid, diese Depressivität und Hoffnungslosigkeit, auch bei besuchenden Angehörigen mitzuerleben, macht mir Mut. Sehe ich doch, dass ich noch ein großes Stück von dieser Phase entfernt bin. Bei aller Empathie, Traurigkeit und Hilflosigkeit.

mein Weg muß weiterhin der Rauchverzicht bleiben. Nur so habe ich eine Chance, meine Lebensqualität zurück zu erobern und möglichst lange meine Menschenwürde zu behalten.

Sollte auch nur ein einziger unter euch sein, der diesen Artikel mit "HAT MIR GEHOLFEN" markiert, ist schon etwas gewonnen.

Rauchfrei werden, Rauchfrei bleiben lohnt sich. Dieses Mal aus einem eher anderen Blickwinkel.

Ich werde zur Zeit optimal medizinisch versorgt, wo mich meine "Reise" hinführen wird, ist jetzt noch nicht absehbar.

Viele Grüße
Euere Meikel

Verfasst am: 05.03.2014, 23:31
Paladin
Paladin
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Hallo Meikel.
Ganz, ganz viel Kraft für Dich!

Weiß gar nicht was ich sonst sagen soll - muss extrem sch.. für Dich sein.
Und es könnte Jeden von uns treffen.

Verfasst am: 06.03.2014, 06:30
Asilida
Asilida
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Hey Meikel, ich bin geschockt. Es tut mir sehr leid für dich, wirklich schlimm; dein Krankheitsstadium und auch das was du bei den anderen Patienten siehst. Ich wünsche dir ganz ganz viel Kraft, komm wieder auf die Beine!

Verfasst am: 06.03.2014, 08:14
Kecina
Kecina
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Hey Meikel, hab jetzt ein paar mal gelöscht, was ich geschrieben hab, hat alles nicht so richtig gepasst. Bestürzt bin ich, schockiert.

Aber ich möchte auch danke sagen für deine Offenheit.
Nur wenige würden in dieser Situation ans Rauchfrei- Forum denken.
Deine Worte rütteln wach, wecken Ehrgeiz und die Entschlossenheit, rauchfrei zu bleiben, manifestiert sich.

Ich weiß aus Erfahrung, dass mit Mitleid niemandem geholfen wird.
Deshalb: Ich schicke dir in Gedanken ganz viel Kraft, Ruhe. Dir u deiner Familie.
Seid stark. Ich hoffe das beste!

Verfasst am: 06.03.2014, 11:03
rauchfrei-lotsin-andrea
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Ach gott, Meikel,

das macht mich jetzt sehr sehr traurig. Danke für´s Schreiben. Wenn ich nur etwas für dich tun könnte, dich würde ich sofort im Krankenhaus besuchen, wenn du in meiner Stadt leben würdest.

Und natürlich muss ich an meine Freundin denken, die auch COPD hat. Da hast du mir doch mals so toll im Chat geholfen, weißt du noch?

Meikel, ich bin nicht religiös, aber ich schicke Bitten um Hilfen für dich nach oben in den Himmel. Und heute abend zünde ich ein Teelicht für dich an.

(((((((((((((((((((((((((((((((((((((((((((((((((((((((((((((((((((((((((Meikel))))))))))))))))))))))))))))))))))))))))))))))))))))))))))))))))))

Traurige und herzliche Grüße
Andrea

Verfasst am: 06.03.2014, 11:34
rauchfrei-lotse-meikel
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Danke euch allen, für den Mitleids-Verzicht. Die einzig, angemessene Reaktion.

Update:

Sauerstoffgehalt gestern 60-75%. Blutdruck 169:129.
Heute 80-96%, 120:80. In Ruhe. Jetzt müssen wir noch versuchen, diese Werte in Mobilität zu stabilisieren.

Ein Krankenhausaufenthalt fordert Langmut. Ich bewundere die Menschen, denen der feste Glaube an einen Gott eine Extraportion Kraft, innerer Stärke und positiver Energie verleiht. Mein Leben verläuft irdisch, ohne diese "Extraportion Milch"

Manchmal unterirdisch

(merkt ihr? mein Sarkasmus kehrt zurück, es geht besser)
Wer mag, verfolge meinen thread weiter

rauchfreie, beste Grüße, from the bottom of my heart
Euer Meikel

Verfasst am: 06.03.2014, 12:28
Julia2
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Hey Meikel!!!

Ich wünsche dir ganz viel Kraft und bewundere deinen Mut in den Kampf zu gehen. Dein Bericht zeigt ganz viel Kampfes Geist und Lebenswille. Bewahre dir deinen Frohmut und Sarkasmus, im Kampf für eine bessere Lebensqualität. Du hast uns schon so viel Mut gemacht mit deiner Geschichte und mit dem was du schon alles erreicht hast. Halte den Kopf oben, du hast so viel Kraft.



Danke dir, dass du für uns da bist

GLG Julia

Verfasst am: 06.03.2014, 14:54
delia0304
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Hey Meikel,

was machst du denn für Sachen??? Ich wünsche dir von Herzen eine baldige Genesung und danke dir für diesen Bericht!

Liebe Grüße,

Delia

Verfasst am: 06.03.2014, 20:30
rauchfrei-lotse-meikel
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Der Versuch einer Real-Satire...
...im Ansatz zum Scheitern verurteilt, denn Nachfolgendes hat sich gestern GANZ REAL so und so ähnlich ereignet. Das gelobe ich beim Leben all meiner Lungenbläschen. Lest selbst:

"Moin, wir bringen Herrn N." sagt der Mann vom Rettungsdienst zur Diensthabenden in der Notaufnahme. "Bekannte COPD, Vitalwerte bei xfsmxaq..."

"L," sage ich. "Mein Name ist L" Uhrzeit: Neun Uhr 20.

"Legen Sie sich auf die Liege, bitte, machen den Oberkörper frei." EKG, Sauerstoffwerte, das volle Programm.

"Ich sag dem Arzt bescheid, der wird Sie gleich untersuchen." Nebenan wird dringend Unterstützung gebraucht. Ein Notfall.

Der Arzt ist relativ schnell bei mir. Den kenn ich noch von vor 8 Monaten Er mich auch, vom Sehen...

"Och, Herr N. Wat machen se?"

"...schlecht Luft!"- japse ich. "L", sage ich.

"oh, äh...ich korrigier das hier mal auf dem Anamnesebogen", sagt der Doc.

Nachdem alle Parameter stehen, sagt er mir, dass ich in den nächsten 10-14 Tagen stationär alle relevanten, aktuellen Befunde ermitteln zu lassen, um auf dieser Basis die weitere Therapie abzuleiten.

Klingt gut.
Klingt fair. Und gründlich.

"Ich rufe auf der Station an. Von dort werden Sie gleich abgeholt,"sagte Herr Dr.

Es ist kurz vor 11. Aus der Erfahrung weiß ich, dass es um 11.30 Mittagessen gibt. Und ich habe Hunger. Dieses Krankenhausessen ist mit das Beste, was das Ruhrgebiet zu bieten hat, ohne Scheiß.

Wie oft ich zwischenzeitlich eingeschlafen bin, weiß ich nicht mehr. Als ich auf die Uhr sehe, ist es 13.00. Ich sitze noch immer auf dem blauen Polstersessel, denn meine Liege wurde gebraucht-der nächste Notfall.

14 Uhr, ich sehe eine weiße Jacke durch die Milchglasscheibe. Oder ist es doch das Licht am Ende des Tunnels?

"Schwester!" rufe ich. Laut. Soweit möglich

Freundlich, zugewandt, professionell, sagt "sie":

" ich bin Jonas. Pfleger in der Ambulanz. Sie sind Herr?

"L".

"Ah ja. Sie kommen ja gleich auf Station. Ich ruf da noch mal an. Das dauert ja ewig heute."

15 Uhr 30. Das Haar sitzt. Eine weiße Frau begrüßt mich, schiebt mich auf mein Zimmer und erklärt mir:

"Bitte entschuldigen Sie, dass es gedauert hat, aber wir mussten erst das Zimmer desinfizieren Ein ansteckender Patient. Krankenhauskeim."

Ein Mann wie ich muss auch die Momente im Leben erkennen, in denen es besser ist, zu schweigen. Dies war einer dieser Momente.

Sie rollt ich in mein Zimmer und ich sehe...Nichts.

"Schwester. Fällt Ihnen was auf?"

"?"

"Hier steht ja gar kein Bett." Ich. den Tränen nah.

"Ja ja, sagt sie. "wir sind ja gerade erst fertig geworden mit der Desinfektion. Und dann war auch Übergabe." Da war es. Das Unwort dieses Jahrhunderts. Ü b e r g a be!

Um 17:30 überschlagen sich die Ereignisse buchstäblich.

Ich bekomme ein Bett.

Und ich bekomme ein Abendessen. Weshalb sich Krankenhauswurst und -käse immer (!) an den Ecken hochbiegen, haben mir Generationen von Physikern bisher nicht erklären können.

Es wird nun doch einmal Zeit, die Toilette aufzusuchen. Höchste Zeit.

Nach Verrichtung, dort sitzend, sehe ich kein Klopapier.

Meine Frau hat mir Papiertaschentücher in die Hemdtasche gesteckt. Das hilft. Gegen Tränen und anderes.

Ich wasche meine Hände, keine Waschlotion. Keine Papierrolle zum Trocknen. Kein Händedesinfektionsmittel. In dem Moment empfand ich es eher als belastend, ein sensibler Kerl zu sein.

Ich rollte mich ins Bett, rollte mir die Rollwurst zwischen die Zähne, trank hastig das Bier, das meine Frau mir als "Sedativum" eingepackt hatte. Und schlief. Irgendwann. Irgendwie.
Krankenhauskeime in "L" und "N"-Form. regierten meine Träume.

N8 @all.

Euer Meikel

Verfasst am: 06.03.2014, 20:42
Asilida
Asilida
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Nicht alles unbekannt... oh wie schön dass du dir noch etwas Humor bewahrt hast. Mir jedenfalls hat deine Realsatire ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. Trotz des ernsten Hintergrunds.
Ich wünsche dir eine gute Nacht!