Rauchstopp bei Depressionen

Verfasst am: 20.10.2018, 14:05
VenezianischerKarneval
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Liebe Nullideal
ich habe lange gezögert, ob ich mich hier bei dir melden soll, weil ich nicht mehr so viel im Forum bin.
Dass ich es doch mache, hängt damit zusammen, dass mir dieser Satz von dir:

Ich versuche, das auf der Arbeit zu kompensieren, aber ich weiß nicht, wie lange ich noch verhindern kann, dass die anderen merken, dass mit mir RICHTIG was nicht stimmt. Ich habe Angstzustände, phasenweise fühle ich mich wie direkt vor einem Nervenzusammenbruch.

nicht mehr aus dem Kopf geht. Ich bin selbst seit Mitte/Ende 30 von Problemen mit der Psyche betroffen und das oben zitierte kenne ich aus der Anfangsphase. Ich hatte das Gefühl, dass ich wie hinter einer Glaswand lebte, nichts berührte mich mehr wirklich, konzentrieren ging fast gar nicht mehr und ich habe verzweifelt versucht, im Beruf etc. zu funktionieren. Jahrelang. Bis zum völligen Zusammenbruch. Mach das nicht.
Auch ich reagiere sehr sensibel auf Medikamente, wollte mich nicht darauf einlassen.
Inzwischen habe ich einen sehr guten Psychiater, der es mir folgendermaßen erklärt hat:
Es besteht, ähnlich wie beim Diabetiker, eine Stoffwechselstörung, nur nicht der Bauchspeicheldrüse, sondern eben im Gehirn. Die medikamentös gut behandelbar ist. Der Diabetiker braucht sein Insulin, sonst stirbt er. Der psychisch Kranke evt. sein Psychopharmakon.
Ich komme jetzt, 25 Jahre später, ganz gut zurecht, bin

stabiler, selbstbewusster und zufriedener als jemals zuvor (wieder Zitat).

Weiter meint mein Arzt: Sie sind jetzt Anfang 60, nehmen täglich 2 Tabletten, wovon die eine ein Schilddrüsenhormon ist und die Dosis Psychopharmaka an der unteren Grenze der Wirksamkeit ist.
Er rät mir, diese Dosis zur Vorsicht beizubehalten und mir keine Sorgen wegen Nebenwirkungen zu machen.
Und mich nicht deswegen minderwertig zu fühlen. Und bitte: welcher Mensch Anfang 60 kommt mit 2 Tabletten täglich aus?
Eins habe ich aber nie gemacht: ich habe nie "Bedarf" genommen, der psychisch Betroffenen angeboten wird wie sauer Brot und, wie ich im Bekanntenkreis sehe, verheerende Auswirkungen hat. Die sich darauf einlassenden Menschen haben verlernt, dass traurige (übrigens auch überglückliche) Momente zum Leben gehören und werfen sich bei jedem Anflug eines Gefühls eine Tablette ein, mit extremsten Nebenwirkungen. Kann ich nur von abraten.
Mein Facharzt hat mir erklärt, dass wegen gleicher Andockstellen im Gehirn mein Psychopharmakon als Raucherin nur halb so stark gewirkt hat wie ohne Nikotin.
Es gibt viele Menschen mit psychischen Problemen, die sich entweder mit Nikotin oder Alkohol und ähnlichen Substanzen "medikamentieren". Weil es einen nicht so abstempelt. Laut Mediziner ist das von den schädlichen Nebenwirkungen her die schlechtere Wahl.
Vielleicht kannst du mit diesen Informationen etwas anfangen.
Auf jeden Fall musst du darauf achten, nicht aus dem Sozialsystem rauszufallen. Also, immer zum Arzt gehen, die Krankschreibung ist wichtig, auch, dass der Arbeitgeber informiert ist. Und die Krankenkasse.
Und falls es ganz schlimm werden sollte, Hilfe annehmen; sicher, ein Klinikaufenthalt reißt einen aus dem Alltag heraus, kann aber andererseits auch jahrelange Quälerei verhindern. Und die Grundlage schaffen, danach sein Leben wieder leben zu können.
Ich wünsche den psychisch Betroffenen mehr Selbstbewusstsein: sicher, ich habe kurz vor der Rente leicht reden, damit offener umzugehen, aber wir leben nicht mehr im Mittelalter, obwohl es noch viele Vorurteile gibt.
Und die würden sich reduzieren, wenn jeder wüsste, dass auch in seinem Umfeld Verwandte, Freunde, Nachbarn, Bekannte, die ein völlig normales Leben führen, psychische Probleme hatten, es aber vertuscht wurde.
Ich wünsche dir alles Gute auf deinem Weg, ob er nun sofort oder erst in einiger Zeit rauchfrei verläuft.
Wir haben hier so einen Leitsatz: immer schön eins nach dem anderen, und wie es dem ureigenen Weg entspricht.
Herzliche Grüße und good luck von Claudia